Samstag, 27. Januar 2018

Hunde und Qualzucht 1/2

Immer wieder werde ich gefragt, welche Hunderassen nun von Qualzucht betroffen seien. Zunächst muss definiert werden, was eigentlich unter "Qualzucht" verstanden wird. Es gibt hierzu keine offizielle oder gar gesetzliche Definition. Im deutschen Tierschutzgesetz gibt es den berühmten Paragrafen 11b, der es kurz gesagt verbietet, Tiere mit Schmerzen, Leiden oder Schäden zu züchten (Wortlaut siehe unten).

Im ersten Teil werde ich ein kleines Schlaglicht auf die Missstände werfen. Es ist wirklich nur ein zumal unvollständiges Schlaglicht mit ein paar Stichworten, ansonsten müsste man ein ganzes Buch hierzu herausbringen (letztlich noch viel mehr als mein "Schwarzbuch Hund"). Im zweiten Teil werde ich anhand historischer Fotos aus meinem Archiv zeigen, dass es zum einen anders geht, zum anderen bei den heutigen Qualzuchtmerkmalen durchweg um Verfälschungen, ja Perversionen der ursprünglichen, der originären Hunderassen handelt.

3 Kategorien der Qualzucht

Bezogen auf Hunde spreche ich von 3 Kategorien der Qualzucht:
  1. Hunderassen, die durch gezielte Zucht die Funktion wichtiger Körperteile zumindest teilweise verloren haben. Hierzu zählen der Verlust der Fähigkeit zum freien Atmen bei den Plattnasen, die Hinterhand beim Deutschen Schäferhund oder der extreme Fellwuchs etwa beim Komondor. Gigantismus oder Zwergenwuchs zähle ich ebenfalls hierzu.
  2. Hunderassen, in deren Population infolge von Versäumnissen der Zucht die genetischen Anlagen zu schwerwiegenden Erbkrankheiten stark gehäuft vorkommen oder die massiv an Lebenserwartung verloren haben. Hier sind etwa der Dobermann oder der Cavalier King Charles Spaniel zu nennen.
  3. Industrielle Hundeproduktion und Hundehandel. Hier wird im Massenumfang tagtäglich schweres Leiden durch die Gier des modernen Menschen erzeugt. Das betrifft in erster Linie die Zuchttiere, besonders die Hündinnen. Diese werden schlicht als Wurfmaschinen missbraucht und dann entsorgt. Dann betrifft es die Welpen, die meist zu jung, bestenfalls schlecht sozialisiert, minimal versorgt und kaum geimpft EU-weit in den Handel gebracht werden. 
Keine offiziellen Statistiken

Leider gibt es keinerlei offizielle, wirklich belastbare Statistik zu diesem Thema. Hunde züchten, produzieren, handeln darf in der EU jeder ohne jegliche behördliche Genehmigung oder Auflage (außer gewerblicher und räumlicher Art ab einer gewissen Größe). Es ist der weiße Fleck auf einer ansonsten streng regulierten Landkarte der EU-Bürokratie. Es gibt in Deutschland keine belastbaren Statistiken weder vom Staat noch von den Veterinären (deren Vertretungen ansonsten in wohlfeilen Statements auf ihre Sorge um die Hunde verweisen) noch von den Hundezuchtverbänden. Das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zu §11b TSchG (Qualzuchtgutachten) ist immer noch die fundierteste Quelle, stammt aber aus dem Jahr 1999 und bedarf einer aktuellen Überarbeitung und Ergänzung.

Qualzucht ist allein von Menschen gemacht!

Wenn ich immer wieder konkret Hunderassen benenne, so geschieht das nicht, um irgendeine Rasse "schlecht zu reden" - wie mir gerne unterstellt wird. Genau das Gegenteil ist der Fall! Gerade weil und wenn man Hunde und die einer speziellen Rasse liebt, muss man geradezu die Stimme für deren gesunder Zucht erheben. Wer wenn nicht wir soll das denn tun? Qualzucht ist kein Schicksal der Natur. Sie ist allein Menschen gemacht und zwar bewusst! Schweigen macht nur mitschuldig an dem unsäglichen Elend, das wir Menschen hier und heute, mitten im Herzen Europas, den Hunden antun. Es war ja mein geliebter Bulldog Willi, dessen Schicksal mich geradezu zwang, mich dem Thema Qualzucht zu widmen und meine Stimme dagegen zu erheben - gerade weil ich das Wesen und den Charakter dieser Hunde so schätze. Heute vor 10 Jahren starb er.

Nun eine (unvollständige) Liste der wichtigsten nach meiner persönlichen Auffassung von Qualzucht betroffenen Hunderassen. Dazu muss gleich gesagt werden, dass eben nicht alle Hunde der jeweiligen Rasse von einem oder allen Qualzuchtmerkmalen betroffen sind oder sein müssen:
  • Afghane
    extremes Haarkleid bei manchen Ausstellungslinien
  • Basset Hound
    in vielen Show-Linien zu lockere Haut, Probleme an Augen, Ohren, zu kurze Beine u.a.m.
  • Berner Sennenhund
    zahlreiche Erbkrankheiten, sehr geringe Lebenserwartung
  • Bloodhound
    oft zu lockere Haut, sehr geringe Lebenserwartung
  • Bobtail
    bei Show-Linien teils extremes Haarkleid, das u.a. den Hund massiv beim Sehen behindern kann
  • Bordeaux-Dogge
    extrem geringe Lebenserwartung
  • Boston Terrier
    Plattnase*, weitgehender Verlust natürlicher Fortpflanzungsfähigkeit
  • Bulldog (englische Bulldogge)
    Plattnase*, extreme Falten besonders am Kopf, zu schweres Gebäude, weitgehender Verlust natürlicher Fortpflanzungsfähigkeit, Immunsystem, extrem geringe Lebenserwartung 
  • Chavalier King Charles Spaniel
    mehrere schwere Erbkrankheiten sind in der Population weit verbreitet
  • Chihuahua (Toy)
    Zwergwuchs, Schädeldeformationen, Glubschaugen
  • Chinese Crested
    Felllosigkeit und damit verbundene Gendefekte (ähnlich bei den anderen Nackthunderassen)
  • Chow-Chow
    in manchen Show-Linien zu üppiges Fell mit starker Faltenbildung
  • Deutsche Dogge
    teils Gigantismus und etliche Erbkrankheiten auch verbunden mit bestimmten Fellfarben
  • Deutscher Schäferhund
    u.a. Deformierung der Hinterhand und des Rückens besonders bei den Show-Linien
  • Dho Khyi
    Gigantismus und Erbkrankheiten in Teilen der Zucht
  • Dobermann
    Verseuchung der Population mit der erblichen Herzkrankheit DCM
  • Französische Bulldogge (Bully)
    extreme Plattnase*, Schädeldeformation, Rückgratdeformationen in weiten Teilen der Zucht, Immunsystem 
  • Japan Chin
    extreme Plattnase* und Schädeldeformation
  • Komondor
    extremes Haarkleid
  • Lundehund
    Lundehundsyndrom in weiten Teilen der Population
  • Mastiff
    Gigantismus in Teilen der Zucht
  • Mastino Napoletano
    teils Gigantismus, extreme Hautpartien, Augen
  • Mops
    extreme Plattnase*, Schädeldeformation, Glubschaugen in weiten Teilen der Zucht
  • Pekinese
    extreme Plattnase*
  • Puli
    extremes Haarkleid, Kopfbehaarung soll sogar laut Standard die "Augen abschirmen"
  • Rhodesian Ridgeback
    der Ridge auf dem Rücken ist Ausdruck der Anlage zu einer Nervenkrankheit, Umgang mit den eigentlich gesunden Welpen ohne Ridge
  • Shar-Pei
    teils extreme Faltenbildung besonders am Kopf, Immunsystem
  • Tibet Terrier
    verschiedene Erbkrankheiten in Teilen der Population
  • Toy-Pudel
    von Standard geforderter Zwergwuchs
  • Yorkshire Terrier (Toy)
    Zwergwuchs
  • Zwergspitz, Pomeranian (Toy)
    Zwergwuchs

    (* siehe Brachycephales Syndrom)
Darüber hinaus kann man noch bei etlichen weiteren Hunderassen Erscheinungen von Qualzucht der von mir genannten Kategorien eins und zwei finden. Am verheerendsten wirkt meiner Einschätzung nach derzeit die Qualzucht der dritten Kategorie. Sie betrifft einen Großteil der Hunderassen wie auch Mischlinge.

Die Verantwortung der Welpenkäufer

Der Marktanteil der Welpen und Hunde aus industrieller Produktion und Hundehandel wächst kontinuierlich. Nach einer Statistik des britischen Kennel Clubs hat der Marktanteil der von Qualzucht gebeutelten Plattnasen in den letzten Jahren im UK massiv zugenommen. Bei den Französischen Bulldoggen sogar um das 30-fache. In Deutschland wird der Trend vermutlich ähnlich sein. Wir reden immer lauter von Tierschutz, in der Praxis werden immer mehr Welpen aus zwielichtigen Quellen gekauft. Ohne die entsprechenden Welpenkäufer gäbe es keine Qualzucht!

Bulldog, Mops & Co sind tolle Hunde

All die hier genannten Hunderassen, von dem Toy-Pudel abgesehen (der per Standard als Zwergwuchs konzipiert ist), haben ihre Daseinsberechtigung. Es ist jede für sich eine tolle Hunderasse. Der Charme eines Mopses oder eines Bulldogs, die sprichwörtliche Leistungsfähigkeit des Deutschen Schäferhundes oder des Bloodhounds, das Gemüt einer Deutschen Dogge oder eines Mastiffs - all das sind Kleinode der Hundewelt, die es unter allen Umständen zu erhalten gilt. Gerade deswegen müssen die Irrwege und Missstände in der Zucht offen benannt und angeprangert werden - um eine Chance auf den Erhalt dieser Hunderassen zu haben. Fast alle Hunderassen sind sehr alt oder haben uralte Wurzeln - kerngesunde Wurzeln. Deren heutige Qualzucht zeugt lediglich vom Wirken des modernen Menschens der Industriestaaten der letzten Jahrzehnte samt ihrer Politiker und Veterinäre.

Gesunde Zucht ist möglich!

Die benannten Rassen stellen reichlich 10% aller offiziell von der FCI anerkannten Hunderassen dar. Das ist zuviel. Jeder Qualzuchtfall ist zuviel. Das heißt jedoch positiv ausgedrückt, dass rund 80% aller Hunderassen nicht oder nur in Ausnahmefällen von Qualzucht betroffen sind. Das heißt leider noch lange nicht, dass es überall ansonsten gut aussehen würde. Doch: Bei vielen Hunderassen, namentlich den Jagdhunderassen aber nicht nur dort, sehen wir zumeist in den dem VDH angeschlossenen Vereinen Zucht-Reglements und entsprechende reale Praxis, die selbst bei kleinen zahlenmäßigen Populationen vitale, in Körper und Psyche gesunde, langlebige Rassehunde hervorbringen. Gesunde Zucht von Rassehunden ist möglich und die vorherrschende Realität aber leider nur unterhalb des VDHs und einiger anderer Vereine**.

Denn wie oben schon angeführt: Diese seriöse Zucht deckt einen Marktanteil von nicht einmal 30% ab, bei ständig sinkendem Marktanteil. Die Hundehalter kaufen immer öfter den industriell produzierten und EU-weit vermarkteten Billig-Welpen vom Sofa aus per Maus-Click im Web mit Lieferung nach Wunschtermin. Das ist die traurige Realität unter deutschen "Hundefreunden".

Ein  Beitrag von Christoph Jung


* * Ich höre jetzt schon gleich die oft keifenden Kommentare von wegen Zucht im VDH. Nach meiner Kenntnis gibt es keinen Dachverband in Deutschland, der real strengere Zuchtreglements hat als der VDH. Klar, den Dachverband VDH schert es oft nicht, wenn Mitgliedsvereine gegen diese massiv verstoßen, siehe Dobermann. Doch ist es (leider) ebenso Realität, dass sich fast alle (aber nicht alle) seriösen Zuchtvereine unterhalb des Dachs des VDHs befinden. Gerne nehme ich Hinweise entgegen, die auf positive Alternativen verweisen. Hinter dem Schimpfen auf den VDH verbirgt sich oft nur eine umso schlechtere Zuchtpraxis. Allerdings kenne ich ebenso Beispiele von Züchter und Zuchtvereinen, die ob Misständen im VDH außerhalb dessen eine bessere Praxis zeigen. Es ist auch klar, dass der VDH in Deutschland seit Jahrzehnten hauptverantwortlich ist für das Ausstellungswesen, das wiederum ein Katalysator für die unter Kategorie 1 genannten Auswüchse ist.

Dokumentiert:

Tierschutzgesetz § 11b 

(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung
1.
bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
2.
bei den Nachkommen
a)
mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
b)
jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c)
die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.
(2) Die zuständige Behörde kann das Unfruchtbarmachen von Wirbeltieren anordnen, soweit züchterische Erkenntnisse oder Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass deren Nachkommen Störungen oder Veränderungen im Sinne des Absatzes 1 zeigen werden.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für durch Züchtung oder biotechnische Maßnahmen veränderte Wirbeltiere, die für wissenschaftliche Zwecke notwendig sind.
(4) Das Bundesministerium wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates
1.
die erblich bedingten Veränderungen und Verhaltensstörungen nach Absatz 1 näher zu bestimmen,
2.
das Züchten mit Wirbeltieren bestimmter Arten, Rassen und Linien zu verbieten oder zu beschränken, wenn dieses Züchten zu Verstößen gegen Absatz 1 führen kann.



 
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